top of page

Begrüßung der Kriegsheimkehrer: Fahnen, Feste und Sorgen

Die Lemgoer Soldaten kehrten im November 1918 als Angehörige einer geschlagenen Armee in ihre Heimat zurück. Die Einheiten wurden demobilisiert und die Soldaten in das Zivilleben entlassen. Zur Begrüßung der heimkehrenden Soldaten organisierten die Lemgoer Kirchen- und Schulgemeinden sowie die Vereine verschiedene Willkommensfeiern, mit denen die fortdauernde Verbundenheit der Bevölkerung, der ehemaligen Heimatfront, mit „ihren Kriegern“ deutlich gemacht werden sollte. Aber auch Sorgen wurden geäußert:

Stadtverordneter Ottemeyer freut sich darüber, daß schon vereinzelt zur Ehrung der heimkehrenden Krieger geflaggt sei und bittet den Magistrat, dafür zu sorgen, dass sobald geschlossene Truppenteile in die Stadt einzögen, Haus bei Haus geflaggt werde, die Glocken geläutet, und Blumen gestreut, kurz alles getan werde womit man die braven Frontsoldaten ehren und erfreuen könne, denn diese seien es wert, mit allen Ehren empfangen zu werden. Der Herr Bürgermeister sagt einen durchaus würdigen und ehrenden Empfang zu sowie es Generalfeldmarschall v. Hindenburg gewünscht habe. Stadtverordneter Steinbach spricht von Beunruhigung in der Bürgerschaft wegen der bevorstehenden Einquartierung und fragt, wie die Belegung gedacht sei. Der Herr Bürgermeister sagt, zunächst kämen nur Schulen und Säle in Frage. Stadtverordneter Becker empfiehlt möglichste Vorsicht. Er ist der Ansicht, dass in Lemgo auch eine Entlausungsanstalt errichtet werden müsse. Es sei auch notwendig, dass die Soldaten ärztlich kontrolliert würden.

(Protokoll der Lemgoer Stadtverordnetenversammlung

vom 22.11.1918, Stadtarchiv Lemgo, A 504, S. 85).

Bekanntmachung Generalkommando VII.jpg

Bekanntmachung des Generalkommandos des VII. Armeekorps über den Einsatz von Verkehrsmitteln zur Rückführung des Feldheeres und zur Lebensmittel- und Kohlenversorgung der Bevölkerung, am 30.11.1918 (Quelle:  Stadtarchiv Lemgo, P2/383).

Kriegsgefangene

​

Nach Kriegsende blieben manche Lemgoer Soldaten noch in Kriegsgefangenenschaft (ihre genaue Anzahl ist nicht überliefert). Sie wurden in Frankreich zur Minenräumung und zum Wiederaufbau kriegszerstörter Gebiete eingesetzt. In Lemgo wurde der Ruf nach ihrer Befreiung immer drängender, und ihre Rückkehr 1920 bot Anlass zu Feierlichkeiten.

Vereinsgründung für Freilassung deutscher Kriegsgefangener.jpg

Einladung zur Beteiligung an der Ortsgruppe des Volksbundes zum Schutz der deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen, Lippische Post, 29/01/1919.

Kundgebung für Freilassung deutscher Kriegsgefangener.jpg

Ankündigung einer Kundgebung der Ortsgruppe Lemgo zum Schutze der deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen in der Kirche St. Johann anlässlich des bevorstehenden Ablaufes des Waffenstillstandes im Februar 1919, Lippische Post, 09.02.1919.

Unteroffiziere fordern Freilassung deutscher Kriegsgefangener.jpg

Bericht über einen Umzug der Ortsgruppe Lage-Lemgo des Bundes deutscher aktiver Unteroffiziere anlässlich der Opferwoche für die Kriegsbeschädigten mit  Forderungen nach Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen, Lippische Post, 05.05.1919.

Feier für Kriegsheimkehrer Wiembeck.jpg

Bericht über die Begrüßungsfeier der Schulgemeinde Wiembeck zu Ehren der heimgekehrten Kriegsgenfangenen und verspätet eingetroffenen Soldaten, 1920 (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, H 12/78).

Kriegerwitwen und Kriegswaisen

​


Nicht alle Soldaten kehrten nach Kriegsende zurück nach Lemgo: An die 460 Lemgoer Soldaten im Ersten Weltkrieg gefallen (siehe hier)! Die Frauen, die die Nachricht und Gewissheit hatten, dass ihr Mann im Krieg gefallen war, mussten als „Kriegerwitwen“ meist mehr schlecht als recht ihr Auskommen suchen. Für ihre Kinder übernahmen Lemgoer Bürger und Vereine sogenannte „Kriegspatenschaften“.

 

Kriegspatenschaften.jpg

Empfehlungen für die Einrichtung von Kriegspatenschaften durch die Lemgoer Vereine für die Kinder gefallener Soldaten, Lippische Post, 29.03.1917.

Arbeitssuche und Kriegerdank

 

Kriegsheimkehrer Arbeitssuche.jpg

Der Kriegsheimkehrer Karl Winter aus Lemgo sucht Arbeit als Privatlehrer. Lippische Post, 02.01.1919.

Aber auch für viele der heimgekehrten Soldaten bedeutete das Kriegsende (neben den häufig beschriebenen psychischen und sozialen Integrationsproblemen) einen schwierigen beruflichen und finanziellen Neuanfang. Häufig standen sie plötzlich ohne Einkommen da  und mussten sich eine neue Arbeit suchen (siehe zum Beispiel die rechtsstehende Anzeige in der Lippischen Post vom 02.01.1919).

Unterstützung fanden sie und die Hinterbliebenen gefallener Soldaten auch durch den aus Spenden aus der Bevölkerung finanzierten „Kriegerdank“, den in Lemgo die militärischen Vereine (u. a. der Kriegerverein) noch während des Krieges initiiert hatten (siehe Lippische Post, 13.9.1916) und der Anfang 1919 ausgezahlt wurde (Siehe Lippische Post, 5.2.1919).

Kriegerdank.jpg

Bekanntmachung über die Verteilung des "Kriegerdanks" an alle Kriegsteilnehmer aus Lemgo, Lippische Post, 05.02.1919.

Spendenaufruf Kriegerdank (2).jpg

Artikel, in dem an den Sinn des Kriegerdanks erinnert und zu weiteren Spenden aufgerufen wird, Lippische Post, 22.04.1918.

USPD Lemgo Wahlveranstaltung.jpg

Aufruf der USPD Ortsgruppe Lemgo zu einer Wahlveranstaltung, Lippische Post, 24.02.1919.

Erste lippische Landtagswahl Wahlveranstaltungen.jpg

Wahlwerbung der christlichen Volkspartei und Aufruf zur Teilnahme an Wahlveranstalungen der DDP, Lippische Post, 18.01.1919

Politischer Neuanfang

 


Politisch war Lippe im November 1918 erheblich in Bewegung geraten. Am 10. November hatte der in Detmold gebildete Volks- und Soldatenrat den lippischen Fürsten Leopold IV. zur Abdankung gezwungen und die politische Macht übernommen. Sozialdemokraten und bürgerliche Liberale bestimmten zunächst die weitere Entwicklung in Lippe. Die bisherigen bürgerlichen Gruppierungen, seien sie eher liberal oder konservativ ausgerichtet, mussten rasch moderne politische Parteien werden, um in den anschließenden Wahlkämpfen bestehen zu können. Das Dreiklassenwahlrecht war abgeschafft und jede Stimme zählte bei den lippischen Landtagswahlen vom 26.01.1919 und den lippischen Kommunalwahlen vom 02.02.1919 gleich viel. Frauen hatten nun auch erstmals das aktive und passive Wahlrecht erhalten. In die Lemgoer Stadtverordnetenversammlung im März 1919 zog mit Lina Ratsch erstmals auch eine Frau ein.
 

 

 

Ansprache des Lemgoer Bürgermeisters Franz Möller vor der neugewählten Stadtverordnetenversammlung am 03.03.1919


„[…] Redner sagt weiter, nun sei eine neue Zeit angebrochen, ein neues Stadtparlament durch den Willen des Volkes berufen. Der 1. März 1919 [offizieller Beginn der neuen Stadtverordnetenversammlung] bedeute einen Markstein für die Geschichte der Stadt. Die alten Einrichtungen seien in sich zusammengebrochen, und ein Wahlrecht sei zur Anwendung gekommen, das den wahren Volkswillen frei und unverfälscht zum Ausdruck bringe. Zum ersten Male ziehe die Frau ins Stadtparlament ein, um gemeinsam mit dem Manne an dem Wiederaufbau des Vaterlands mit arbeiten zu helfen. Es gelte jetzt, mit klarem Auge die Ziele zu erkennen, die erreicht werden müßten, zum Segen der Stadt. Die Zahl der Aufgaben, die die neue Stadtverordnetenversammlung zu bewältigen habe, sei sehr groß. In der Wohnungsfrage müsse unbedingt etwas geschehen; denn der Mangel an kleinen, mittleren und größeren Wohnungen sei bedeutend. Der Arbeitsnachweis müsse weiter ausgebaut, die Hinterbliebenenfürsorge ausgestattet werden, dann müsse für Unterbringung der Schwerkriegsbeschädigten gesorgt und ein Hauptaugenmerk auf die Verwahrlosung der Jugend gerichtet werden, die mehr und mehr verrohe. Das seien einige der Aufgaben, die der Erledigung harrten, es seien ihrer noch viel mehr. Das Amt eines Stadtverordneten sei schwer, verantwortungsvoll und oft undankbar; jeder möge mit voller Hingebung ans Werk gehen, und das tun, was er vor seinem Gewissen verantworten könne, die Pflicht über alles setzen und mannhaft immer geradeaus sehen, dann fünde er immer Befriedigung aus äußerer Anerkennung.“


(Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Lemgoer Stadtverordneten-

versammlung vom 03.03.1919, Quelle: Stadtarchiv Lemgo, A 504, S. 99-101).
 

Lina Ratsch erste weibliche Stadtverordnete.jpg

Einwohnermeldekarte zu Lina Ratsch (* 1884), erste Frau in der Lemgoer Stadtverordnetenversammlung 1919 (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, Einwohnermeldekartei 1914-1964)

Düstere Gefühlslage bei Kriegsende

 

 

Die Herausforderungen für die neuen politischen Kräfte waren gewaltig. Mit den Folgen des verlorenen Krieges hatte man noch Jahre zu kämpfen. In der Sitzung der Lemgoer Stadtverordnetenversammlung vom 14.03.1919, fast vier Monate nach dem Waffenstillstand, stellte der Stadtverordnete und örtliche Reichsbankvorstand Nahrstedt fest:

​

 

"Die Zukunft sei schwarz“, aber „[…] man dürfe sich trotzdem nicht von der Verzweiflung übermannen lassen, sondern müsse aus der alten Zeit den Sinn für das Gemeinwohl und die Liebe zur Heimat, zur alten Stadt Lemgo in die Neue mit hinübernehmen.

 

(Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Lemgoer Stadtverordnetenversammlung vom 14.04.1919, Quelle: Stadtarchiv Lemgo, A 504)

Werbeanzeigen Tanzveranstaltungen.jpg

Werbung für Tanzeranstaltungen in Lemgoer Gaststätten. Lippische Post, 25.01.1919.

Gleichzeitig blühten auch die ersten Freizeitvergnügungen in Lemgo nach dem Krieg wieder auf (siehe z.B. links die Werbeanzeigen für verschiedene Tanzveranstaltungen in der Lippischen Post vom 25.01.1919). Trotz kritischer Stimmen, die solcherlei Veranstaltungen angesichts des kriegsbedingten Leids vieler Mitbürger für inakzeptabel hielten (siehe rechts, Lippische Post 19.02.1919), drückte sich hier die Sehnsucht nach unterhaltsamer Kurzweil angesichts der Alltagssorgen aus.

Der Lemgoer Jobst Bruno Siek schildert in seinen Kindheitserinnerungen die Gefühlslage bei Kriegsende in seiner Geburtsstadt:

 

„Das Wehklagen über den verlorenen Krieg war groß. Alle Opfer an Gut und Blut waren vergeblich gewesen.“

 

(Jobst Bruno Siek, Lemgo in den 1920er

Jahren, Hamburg, Selbstverlag, 1987).

Tanzveranstaltungen als Problem.jpg

Empfehlung, Tanzveranstaltungen und Karnevalsfeste zu unterlassen oder zumindest nur außerhalb der polizeilichen Sperrstunde zu organisieren, Lippische Post, 19.02.1919.

Die paramilitärische Versuchung: Freiwilligen-Korps

 


Ab Anfang 1919 häuften sich die Werbeanzeigen der sogenannten Freiwilligen-Korps ("Freikorps") in der lokalen Presse. Diese paramilitärischen Milizen waren von ehemaligen Offizieren gegründet worden und rekrutierten ihre Mitglieder unter entlassenen Soldaten, für die eine Rückkehr in das Zivilleben nur schwer vorstellbar war, und denen hier Löhnung, ein militärischer Alltag (fast wie im Krieg) und  nationalistische Ziele geboten wurden: Es galt, das Vaterland gegen seine inneren Feinde (Sozialdemokraten und Kommunisten) zu verteidigen und seine äußeren Grenzen (gegen Polen und Russland) zu schützen. Die Freikorps spielten bei der blutigen Niederschlagung von Arbeiter – und Spartakistenaufständen in der Weimarer Republik eine unrühmliche Rolle und stellten durch ihre maßgebliche Beteiligung an zahlreichen politischen Morden eine Belastung der jungen Demokratie dar.

Werbeanzeige Freikorps Heuck.jpg

Mitgliederwerbung des Lippischen Freikorps Heuck. Dieses Freikoprs beteiligte sich unter anderem an der blutigen Niederschlagung von Streiks im Ruhrgebiet.  Lippische Post, 05.01.1919.

Dolchstoßlegende Flugblatt DNCP.png

Wahlplakat der völkisch-nationalistischen DNVP aus dem Jahre 1924. (Quelle: Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, CC BY-NC-SA).

Dolchstoßlegende und Wiederaufstiegshoffnungen

 


Vertreter aus Politik, Verwaltung und Vereinsleben riefen wiederholt zur inneren Einheit auf, die als Voraussetzung für einen „Wiederaufstieg Deutschlands“ in der Zukunft angesehen wurde. Die revolutionären Unruhen am Ende des Krieges wurden offensichtlich als Störung dieser Einheit empfunden und als Gefahr angesehen. So richtete sich bei den Bürgerlichen und Konservativen der Zorn zunehmend gegen die Kommunisten und Sozialdemokraten, die (zu Unrecht) für die als demütigend empfundene Niederlage verantwortlich gemacht wurden. Die weite Verbreitung der „Dolchstoßlegende“ (= Behauptung, dass Deutschland im Felde unbesiegt, nur durch den Verrat der Linken zur Niederlage gezwungen worden sei) legte den Grundstein für kriegsrevisionistische und antidemokratische Tendenzen in Deutschland, die letztendlich Hitler 1933 an die Macht verhalfen.

 

bottom of page