

Fritz Ohle (*1910), Sohn der Fotografen Fritz und Lina Ohle aus Lemgo, in historisierender Militäruniform, ca. 1915 (Quelle: Sammlung Hartmut Walter, Lemgo)
Kindheit im Krieg
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Die Generation der sogenannten Kriegskinder, geboren zwischen 1901 und 1914, wuchs in einem Umfeld von Autorität, Zwang, Drill, unbedingtem Patriotismus und Opferbereitschaft auf. Das Ziel, Soldat zu werden und für das Vaterland kämpfen zu können, war ein "normaler" Wunsch eines deutschen Jungen im Kaiserreich. Die Beeinflussung durch das militärische Gepräge der Zeit zeigte sich auch in Lemgo durch die Soldaten der Garnison:Die Anwesenheit der Garnisonssoldaten in Lemgo während des Krieges weckte zusätzlich das Interesse der Kinder für das Militär:
„Vor allem unsere Jugend begrüßte das militärische Leben, begleitete die Truppen auf ihren Märschen, nahm teil an ihren Übungen in der Grevenmarsch und sang mit ihnen die schönen Soldatenlieder. Wir sahen das Ausheben von Schützengräben, lauschten den nächtlichen Übungen, hörten dem Geknatter der Handgranaten und Minen zu. So konnte man sich ein kleines Bild machen von den Arbeiten und Leistungen unserer Helden an der Front.“
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(Karl Knappmeier, Schulchronik von
St Johann I West, Stadtarchiv Lemgo, T3/14).

Fritz Ohle (*1910), Sohn der Lemgoer Fotografen Fritz et Lia Ohle am Tag seiner Einschulung, April 1917. Der Matrosenanzug war bei den bürgerlichen Kindern des Kaiserreichs sehr verbreitet (Quelle: Sammlung Hartmut Walter, Lemgo)
Es herrscht Lehrermangel
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Der Schulalltag in Lemgo war durch den Lehrermangel geprägt. Die jüngeren Lehrer dienten als Soldaten an der Front, übrig blieben die älteren oder kriegsuntauglichen Männer. So mussten die verbleibenden Lehrer mehr Stunden geben, häufig wurden mehrere Klassen zusammen unterrichtet (auch weil einige Schulgebäude während des Krieges vom Militär genutzt wurden, siehe hier) und Schüler hatten weniger Stunden als zu Friedenszeiten.
Lehrer Knappmeier berichtet in seiner Schulchronik rückblickend über seine Arbeitsbelastungen:
„Während des Weltkrieges, vom 1. August 1914 bis 14. Januar 1919 war dem hiesigen 1. Lehrer die Vertretung der 2. Schulstelle übertragen. Er hat in dieser Zeit wöchentlich 42 – 45 Unterrichtsstunden erteilt, sämtliche Mehrstunden ohne Entgelt. Gott hat wunderbar geholfen. Ihm sei Dank für allen Segen! Durch die Kriegsereignisse und Erlebnisse waren die Kinder stets lebhaft angeregt. Der Lehrer hat viel Freude erlebt an der Folgsamkeit, dem Fleiß selbst unter schwierigen Verhältnissen – Arbeitermangel – Lichtnot – zuletzt Krankheiten (Grippe) -, besonders aber an dem ernsten, gottesfürchtigen Sinn seiner Kinder.“
(Karl Knappmeier, Schulchronik von
St Johann I West, Stadtarchiv Lemgo, T3/14).

Das Fürstliche Jungengymnasium im Lippehof am Rampendal in Lemgo. Um 1900 (Stadtarchiv Lemgo, Fotoarchiv Ohle)

Der Stumpfe Turm von St. Johann und das ehemalige Küsterhaus an der Herforder Straße, im ersten Weltkrieg Schulgebäude St. Johann West, vor 1927 (Stadtarchiv Lemgo, N9 Fotoarchiv Ohle)

Schulgebäude der Bürgerschule in der Echternstraße 126 in Lemgo, während des Krieges als Kaserne umfunktioniert. (Quelle: Stadtarchiv Lemgo)

Postkarte der Volksschule Wiembeck, 1917.
(Quelle: www.lemgo-brake.de)
Textilien, geräuchertes Schweinefleisch, Brennholz, Laubheu, essbare Wildpflanzen und Heilkräuter...
Schüler sammeln für den Sieg
Der Schulalltag war nicht zuletzt durch zahlreiche Sammlungsaktionen geprägt, wie auch der Wiembecker Schulchronik zu entnehmen ist:
„Wenn in Erzählungen und Bildern die große Opferwilligkeit des preußischen Volkes im Jahre 1813 hervorgehoben wird, 1914 war sie nicht weniger groß! Auch in der Wiembecker Schule wurde eine Sammelstelle des „Roten Kreuzes“ eingerichtet. Es wurden schon im ersten Winter gesammelt 21 Stück Leinen, 21 Handtücher. 18 Betttücher, 30 Hemden. Viele Frauen der Gemeinde kamen in der Schulstube zusammen, um die Sachen zu verarbeiten, mehrere Nähmaschinen rasselten, andere schnitten oder nähten mit der Hand und bald konnten die Sachen an die Hauptsammelstelle in Detmold abgeliefert werden. Aber damit war die Sammeltätigkeit nicht abgeschlossen. Wie vielerlei und welch große Mengen zusammen gebracht wurden, davon gibt die Übersicht über die Sammeltätigkeit unser[er] Schule […] ein Bild. Im Januar und Februar 1917 fand eine große Specksammlung statt auf Veranlassung des Feldmarschalls Hindenburg, zur Unterstützung der Rüstungsarbeiter, die sog. Hindenburgspende, die unserer Gemeinde ca. 60 kg. Speck zusammenbrachte. Das war ein sehr gutes Ergebnis, wenn man bedenkt, daß in der Heimat längst alle Lebensmittel rationiert waren und jeder Person der Haushaltung nur 50 Pfund vom Schlachtgewicht des Schweines gelassen wurde.“
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(Quelle: Fritz Krumsiek, Chronik der Volksschule Wiembeck, Stadtarchiv Lemgo, H 10/78)
In der Schule St. Johann 1917:
„Am 5. Februar hat sich unsere Oberklasse freudig an der Beschaffung von Brennholz aus dem Walde für unbemittelte Bewohner in Stadt und Land beteiligt. – Auch die beiden Sammlungen zur Hindenburgspende waren sehr erfolgreich. Es sind in unserer, nur von sog. Kleinen Leuten bewohnten Gemeinde: 140 kg eingesammelt bzw. freiwillig gebracht. Viele Spender haben dabei auf Bezahlung verzichtet. – Eine Reihe der größeren Knaben hat freiwillig für alleinstehende Kriegerfrauen Kohlen und Holz auf Schlitten herangefahren und ist somit auch an ihrem Teil im „Hilfsdienst“ tätig gewesen.“
(Quelle: Karl Knappmeier, Schulchronik St. Johann I West, Stadtarchiv Lemgo, T 3/14)

Anweisung der Schulabteilung der Fürstlich Lippischen Regierung an die Lehrer, mit ihren Schülern essbare Wildpflanzen und Heilkräuter zu sammeln (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, H 12/78)

Pressemeldung des Magistrats von Lemgo zur sogenannten "Hindenburgspende" (Sammlung von geräuchertem Schweinefleisch für die Rüstungsarbeiter im Ruhrgebiet), die von Lehrern und Schülern der Stadt organisiert wurde, Lippische Post, 05.01.1917.
Wieder in Wiembeck :
„Der Frühling des Jahres 1918 brachte sehr schönes Wetter. Schon Mitte April konnten die Feldarbeiten beendet werden und am 23. April wurde der Wald grün. Es folgte ein schöner trockener Sommer. Das Vieh fand auf der Weide wenig Futter. Auch an der Front trat bei den Pferden Futtermangel ein. Da erging an alle Schulen der Aufruf, Laub von den Hecken und jungen Buchen abzustreifen und in grünem oder getrocknetem Zustande gegen Vergütung an die Sammelstellen abzuliefern. Das Geld wurde von den meisten Lehrern an die Kinder ausbezahlt, manche Schüler verwandten es zur Anschaffung von Lehrmitteln. Die hiesige sammelte neun Mal, der Unterricht fiel dann aus. Es wurden abgeliefert, wie aus der Tabelle im Anhang zu ersehen ist, an die Sammelstelle in Dörentrup die verhältnismäßig große Menge von ca. 30 Zentner Frischlaub und 19 Zentner Laubheu. Das Laub wurde nachher gepreßt und an der Front als Pferdefutter gebraucht. Im September-Oktober sammelte die Schule 6 Zentner Bucheckern, aus denen Öl geschlagen wurde für die Heimat und die Front. Auch viele Privatleute sammelten Bucheckern, besonders diejenigen, welche keinen Mohn oder Rübsamen angebaut hatten, um Öl für den Haushalt zu gewinnen. Überall wurden wieder Ölschlägereien eingerichtet, so auch in der Sägemühle in Brake. Auch Hagebutten und Eicheln, Kastanien und Kirschkerne, Heilkräuter und Brennnesseln wurden durch die Schule gesammelt. Aus den getrockneten Nesseln wollte man Faserstoffe gewinnen, da Baumwolle nicht mehr eingeführt werden konnte.“
(Quelle: Fritz Krumsiek, Chronik der Volksschule Wiembeck, Stadtarchiv Lemgo, H 10/78)

Dankesschreiben des Vaterländischen Frauenvereins Lemgo für die Sammlung der Wiembecker Volksschulkinder zur Geburtstagsgabe für die deutsche Kaiserin Auguste Viktoria, 1915 (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, H 12/78)
Feiern im Schulalltag
Für die Schüler waren Schlachtensiege und Friedensschlüsse willkommene Ereignisse, da sie zumeist schulfrei erhielten und an öffentlichen Feiern teilnehmen konnten.
Nationale Feierstunden wie der Kaisergeburtstag wurden auch in den Schulen feierlich begangen:
„Zum 2. Male, ernst und still, feiern wir den Geburtstag unseres Kaisers in diesem Weltkrieg. An der Schulfeier nehmen alle Klassen teil. Die Ansprache zeigt den Kindern unsern teuren Kaiser als den hehrsten Landesvater und zwar 1) in seinem landesväterlichen, vorausschauenden Wirken und Arbeiten in den 26 Jahren des Friedens; 2. Der Kaiser und sein Volk in den Tagen der Mobilmachung 3.) der Kaiser als Führer des herrlichen Heeres und der gewaltigen Flotte. 4.) des Kaisers Helden und Mitarbeiter. 5.) Einzelne Bilder von des Kaisers Güte. 6.) Unsere Kaiserin und die Söhne des Kaisers. Mit dem Wunsch und Gebet, daß des Kaisers neues Lebensjahr im Frieden ausklingen möge, schloß die Feier. Um 3/4 10 Uhr ist Festgottesdienst zu St. Johann, an dem auch die größeren Schüler teilnehmen. Dann wieder alle zum Bruche, wo eine große Parade abgehalten wird.“
(Quelle: Karl Knappmeier, Schulchronik St. Johann I West, Stadtarchiv Lemgo, T 3/14)
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Dezember 1916: Schlacht am Argesul und Eroberung von Bukarest
„Nach bangen Wochen entringt sich heute der Brust ein jubelndes: Herr Gott, dich loben wir! Am 4. Dezember früh betrat Herr Pastor Tölle das Schulzimmer mit der herrlichen Meldung: Die Schlacht am Argesul ist gewonnen! Wir sangen stehend: Nun danket alle Gott! U. a. Dann wurde es in der Schule zu eng. Heller Sonnenschein lachte über den heimatlichen Fluren trotz des dichten herbstlichen Nebelschleiers. Und heute, am 7. Dezember? Bukarest gefallen! Trug es ein Engel ins Schulzimmer? Der Glocken eherner Mund verkündet es über Stadt und Land. […] Diesen stürmischen Siegeszug, diesen Adlerflug von Sieg zu Sieg konnte niemand vorhersehen, keiner erwarten. Diese Tage erinnern wieder an den Siegesglanz von 1914. Das ist nicht Menschenwerk. Das ist Gottes Gericht über unsern hinterlistigsten Feind. Das ist ein Beweis göttlicher Gnade gegen unser liebes deutsches Volk. Lasset uns die Knie beugen und bekennen: Der Herr hat Großes an uns getan! Was Sage und Geschichte Großes zu singen wissen von Heldentum und Sieg, es muß verblassen vor den Heldentaten dieses Krieges. Künftige Geschlechter werden uns beneiden und glücklich preisen, nicht bloß die Helden, die in Bukarest, eingezogen, sondern auch uns, die wir in der Heimat des alles Zeugen sind, auf die der Segen herniederströmt. Gott laß uns deiner Gnade würdig werden durch Opfersinn und Brüdersinn, durch Ausdauer und Geduld!“
(Quelle: Karl Knappmeier, Schulchronik St. Johann I West, Stadtarchiv Lemgo, T 3/14)
Der Friedensschluss mit Russland 1918 war für das Deutsche Reich ein Hoffnungsschimmer und natürlich Anlass für eine Friedensfeier, zu der die Schüler frei bekamen:
„Welch eine glückselige, herzerfreuende Nachricht, die heute früh gemeldet wurde! [11.02.1918] Gottlob, nun ist zum ersten mal in diesem Ringen und Völkermorden das edle, so lang und bang ersehnte Friedenswort nicht nur erklungen, sondern fern im Osten zur Wahrheit geworden. Die russischen Streitkräfte sind auf der ganzen Front demobilisiert. Dann ging die Oberklasse, die sich so lange schon, nach einem „siegesfreien“ Tage wieder gesehnt hatte, an einem „friedensfreien“ Schultage strahlenden Auges nach Hause, um von Haus zu Haus zu verkünden: Friede mit Rußland! Und bald klangen zum 2. Mal am Sonnabend, 9.2.18 zum erstenmal nach Abschluß des Friedens mit der Ukraine – die Friedensglocken über Stadt und Land. Möchten die Klänge dringen bis zum fernsten Sibirien zu unsern lieben Gefangenen – auch aus St. Johann – und ihnen künden: Strick ist entzwei – und wir sind frei! – Jetzt ist ein Arm für uns frei. Jetzt hüte dich, England!“
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(Quelle: Karl Knappmeier, Schulchronik St. Johann I West, Stadtarchiv Lemgo, T 3/14)

Deutsche Offiziere begrüßen die sowjetische Delegation mit Leon Trotski am Bahnhof von Brest-Litowsk zu Friedensverhandlungen, am 07.01.1918. (Quelle: Wikipedia)
Schüler ziehen in den Krieg
Mit der Mobilmachung rückten auch aus Lemgo zahlreiche Schüler als Kriegsfreiwillige ins Feld:
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„[A]m 5. stellten sich die Kriegsfreiwilligen. Welch stattliche Zahl auch aus unserer Gemeinde! Von Schülern der Schule zu St. Johann seit 1905 traten, freudig dem Rufe ihres geliebten Kaisers folgend, ein: im ganzen bis 1. Oktober 1915 – 32 Jünglinge in der Blüte ihrer Jahre. Gott mit Euch! Ihr hochgemuten Kriegsfreiwilligen! Wohl sehr glücklich ist, wer zu sterben weiß für Gott und das teure Vaterland! Euer edler Name ist geweiht – der Unsterblichkeit!“
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(Quelle: Karl Knappmeier, Schulchronik St. Johann I West, Stadtarchiv Lemgo, T 3/14)
Der Wiembecker Lehrer Krumsiek sah dies (zumindest im Nachhinein, als er seine Schulchronik verfasste), deutlich kritischer als sein Kollege von St. Johann:
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„Besonders ungeduldig wurde die Jugend. Sie fürchtete zu spät zu kommen und wollte doch so gern auch dabei gewesen sein. (…) Die oberen Klassen der höheren Schulen verließen die Schulbank und meldeten sich zu den Fahnen; darunter waren Jünglinge, die kaum 17 Jahre alt waren, oft fuhren sie nach 5,6 Garnisonorten und baten, ja bettelten um Annahme. Kaum 10 Wochen dauerte die Ausbildung, so daß wohl manche kaum mit dem Gewehr fertig werden konnten, dann gings hinaus ins Feld, und die Heldentaten der deutschen Jungen in Flandern, unter denen auch viele Lipper waren, die unter dem Gesang des Deutschlandliedes die feindlichen Gräben stürmten, sind unvergeßlich. Aber der Tod hatte unter ihnen eine schreckliche Ernte gehalten und heute ist es uns unbegreiflich, wie man sie, die so wenig ausgebildet waren, in den Tod schicken konnte. Aber damals war Ersatz nötig!“
(Quelle: Fritz Krumsiek, Chronik der Volksschule Wiembeck, Stadtarchiv Lemgo, H 10/78)
Auch vom Lemgoer Jungengymnasium traten zahlreiche Abiturienten oder auch Schüler der oberen Klassen als Freiwillige in den Kriegsdienst. In der Jubiläumsschrift der Schule zur 350-Jahrfeier findet man ihre Namen. Eine von Walter Steinecke später gestaltete Gedenktafel (siehe unten) für die im Krieg gefallenen Schüler führt mehrere dieser Namen auf...

Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Schüler des Lemgoer Jungengymnasiums (Quelle: Stadtarchiv Lemgo)
Vormilitärische Ausbildung in der Jugendwehr
Die 16 bis 20jährigen Schüler, die noch nicht eingezogen worden waren oder zu jung, um sich als Kriegsfreiwillige melden zu können, konnten zunächst an den vormilitärischen Übungen der Jugendwehr teilnehmen. Grundlage für die Arbeit der Jugendwehren in Lippe war ein preußischer Erlass vom 16. August 1914 über die militärische Vorbereitung der Jugend während des mobilen Zustandes. Zu den vorgegebenen Übungsinhalten zählten vor allem Exerzieren, Marschieren, Geländeübungen, Befehlsweitergabe, Beobachtungstraining, Kartenlesen, Lageraufbau sowie Anlage von Schützengräben. Ein weiterer Aspekt war die Kriegspropaganda: Den Jugendlichen wurde der Glaube vermittelt, dass Deutschland untergehen müsse, wenn das Reich über seine Feinde nicht siegen würde. Durch die Mitteilung von Kriegsnachrichten sollte der Zorn gegen den Feind bei den Jugendlichen geweckt werden.

Bericht über die Bewilligung eines städtischen Zuschusses für die Lemgoer Jugendwehr, Lippische Post, 15.12.1914.
Die Leitung der Lemgoer Jugendwehr übernahm der Lemgoer Gymnasialdirektor Schurig. Der Kriegerverein Lemgo führte die praktischen Übungen durch. Die Beschaffung der notwendigen Ausrüstung wurde von Seiten der Stadt mit 500 Mark unterstützt (Lippische Post, 15.12.1914).
Es galt das Prinzip der Freiwilligkeit, auch wenn Druck ausgeübt und Appelle an die vaterländische Gesinnung, die „Ehre“ und das Pflichtbewusstsein der Jugendlichen gerichtet wurden. So wurden zum Beispiel in der Lippischen Post immer wieder Aufrufe geschaltet, die nachdrücklich für die Teilnahme an der Jugendwehr warben.

Aufruf zur Teilnahme an der ersten Übung der Jugendwehr Lemgo, Lippische Post, 07.11.1914.

Aufruf der militärischen Vereine in Lemgo und Umgebung zur Teilnahme an der Jugendwehr, Lippische Post, 05/11/1914.

Bericht über die erste Übungsstunde der Jugendwehr Lemgo, Lippische Post, 09.11.1914)
Als Ergebnis dieser Werbung erschienen dann am 8. November 1914 auf dem Schulhof des Gymnasiums in Lemgo etwa hundert Jugendliche. Begonnen wurde mit Exerzieren, was aber an diesem Tag nicht den erhofften Erfolg brachte (offensichtlich verlief die Anleitung etwas chaotisch), so dass weitere Übungsabende angesetzt wurden, die ab Dezember 1914 zweimal wöchentlich stattfanden.
Verkaufsanzeige über Bedarfsartikel für Pfadfinder und Jugendwehren zum Weihnachtsgeschäft, Lippische Post, 24.12.1915.

Die Haltung der Sozialdemokratie zur militärischen Vorbereitung der Jugend war gespalten: In Lemgo war das Gewerkschaftskartell an der Organisation der Jugendwehr beteiligt, gleichzeitig kursierte aber im Februar 1915 in der Stadt auch ein Flugblatt des SPD Bezirks-Jugendausschusses von Groß-Berlin, das sich deutlich von den Jugendwehren distanzierte, weil sie gegen die Sozialdemokratie und ihre Ziele gerichtet seien…

Aufruf an Eltern und Arbeitgeber, die mittlerweile nicht mehr so motivierte Jugend zu ermutigen, an den Übungen der Jugendwehr in Lemgo teilzunehmen, Lippische Post, 28.09.1915.
Im Laufe der Zeit nahmen immer weniger Jugendliche an den Übungen der Jugendwehr Lemgo teil (siehe etwa Lippischen Post vom 28.9.1915), sei es, weil sie als Mobilisierte oder als Kriegsfreiwillige an die Front zogen, weil insbesondere die Handwerksmeister in den Betrieben wenig begeistert waren, wenn ihre Lehrlinge an zwei Abenden in der Woche ausfielen, oder weil die Kriegsbegeisterung der Jugendlichen nachließ angesichts der vielen Toten. So ist es unklar, ob in Lemgo die Übungen der Jugendwehr noch bis Kriegsende fortgeführt wurden oder bereits wegen mangelnder Teilnahme schon vorher aufhörten.

Lippische Post, 14.05.1918.
Schüler als Unruhestifter?
Gegen Ende des Krieges stellte sich die Lage der Jugendlichen anders dar; jetzt empfand man die „jungen Burschen“ vermehrt als Unruhestifter (Lippische Post, 14.5.1918): „ […] die Jugend fühlt sich, da fast alle Männer, mehrere Schutzleute, im Felde sind, frei und unbeaufsichtigt; sie treibt ihr Spiel nach eigenem Begehr.“ Körperliche Züchtigungen wurden als probates Gegenmittel empfohlen.
Das VII. Armeekorps erließ am 13. Dezember 1915 eine Verordnung, die den Verkauf von Tabakwaren und Alkoholika aller Art an Jugendliche unter 16 Jahren untersagte. Der Aufenthalt in Kaffeehäusern und Konditoreien ohne Erwachsene, der Besuch von Lichtspieltheatern und sonstigen Theatern waren ebenfalls verboten. Der Aufenthalt auf bestimmten Plätzen und Straßen konnte unterbunden werden, um „sinnloses Umhergehen“ zu verhindern (Lippische Post, 24.12.1915).
In den Stadtverordnetenprotokollen finden sich auch mehrfache Hinweise auf Jugendliche, die sich nicht regelkonform verhielten.

Lippische Post, 25.12.1915.