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Mobilmachung in Lemgo - Feierlicher Ernst und patriotische Begeisterung

Ordre de mobilisation générale à Lemgo

Quelle: Stadtarchiv Lemgo, Ohle-Fonds

Straßenszene in Lemgo (vermutlich Haferstraße) zu Kriegsbeginn. Jungen im Matrosenanzug (typische Kleidung  für Bürgerkinder im Kaiserreich) stehen vor einer Tür, an der Befehle und Mobilmachungsaufrufe geklebt sind.

Quelle: Stadtarchiv Lemgo, Ohle-Fonds

Augenzeugenbericht des Küsters und Schulmeisters Knappmeier

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Auszug Nr. 2 aus der Chronik der Schule St. Johann I. West, niedergeschrieben in handschriftlichen Notizen des Mesners und Schulmeisters Karl Knappmeier vom Juli 1915 (Archiv der Stadt Lemgo T 3/14):


Kaum eine Woche war vergangen, da fiel schon an unsern Grenzen der Verstörer in unsere Ernte. Die Hufe von Kosakenrossen zerstampften die Felder. Die Sense wurde mit dem Schwert vertauscht. Am 1. August nachmittags um 6 Uhr erklang das Wort: „Mobil“ auch durch unsere Stadt und über die Fluren ihrer Feldmark. Am Sonntagmorgen, dem 2. August, schon folgten Familienväter und Jünglinge dem Einberufungsbefehle. Ernste Worte erklangen im Kriegsgottesdienst. Ps. 46. Am Schlusse erhob sich die Gemeinde und sang brausend: Ein‘ feste Burg!
Nach dem Bußtage am 5. stellten sich die Kriegsfreiwilligen. Welch stattliche Zahl auch aus unserer Gemeinde! Von Schülern der Schule zu St. Johann seit 1905 traten, freudig dem Rufe ihres geliebten Kaisers folgend, ein: im ganzen bis 1. Oktober 1915 – 32 Jünglinge in
der Blüte ihrer Jahre. Gott mit Euch! Ihr hochgemuten Kriegsfreiwilligen! Wohl sehr glücklich ist, wer zu sterben weiß für Gott und das teure Vaterland! Euer edler Name ist geweiht – der Unsterblichkeit!
Täglich erfolgten neue Einberufungen. Unter den Klängen der Wacht am Rhein, Deutschland über alles begleitet von dem Posaunenchor des Jünglingsvereins zogen sie dem Bahnhofe zu. Hunderte und Tausende gaben ihnen das Geleit, verharrten am Bahndamme, bis der lange Zug den Blicken entschwand. „Auf Wiedersehen Mit Gott!“ ihr Streiter im heiligen Kampfe.
Stiller und ernster wurde es in der Gemeinde. Allabendlich versammelten wir uns im Gotteshause zur ernsten Betstunde. Auch unsere Jugend. Auch sie fühlte den Ernst der großen Zeit. [...]"
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Kommentar von Archivar M. Oeben:

 

Die Darstellung ist offensichtlich stark patriotisch und nationalistisch geprägt und atmet unverkennbar den Geist ihrer Entstehungszeit. Deutlich wird aber, dass es wohl eine Art Ambivalenz der Einschätzungen gab. Auf der einen Seite der entschlossene Aufbruch in den Kampf, um das vermeintlich angegriffene Vaterland zu verteidigen, andererseits "Stille" und "Ernst". Ungebrochener "Hurra-Patriotismus" war noch nicht angesagt. Der Glaube an einen "heiligen Kampf", dem sich auch die männlichen Schüler nicht entzogen, ist aber bereits Teil dieser (protestantisch geprägten) Kriegsdeutung und wird von Knappmeier in seiner Schulchronik immer wieder betont.

Anspielung auf den von Kaiser Wilhelm II. verkündeten politischen "Burgfrieden": „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“.

Der Volksschullehrer Fritz Krumsiek berichtet:

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Fritz Krumsiek (12.11.1877 - 11.3.1967) beschreibt in seiner 1914 begonnenen Schulchronik für die Volksschule Wiembeck (Stadtarchiv Lemgo, H 10/78), die Atmosphäre im August 1914:


"[...] Dann kam die Mobilmachung; in allen Orten unseres Landes wurde der kaiserliche Aufruf angeschlagen! Einen Augenblick stockte der Pulsschlag in banger Ahnung, aber dann brach die Begeisterung los, wie man sie nie für möglich gehalten hätte. Alle einig! Ein Volk! Ein Wille! Eine Opferbereitschaft! [...] Meine Frau und ich waren nach Detmold, um uns das Leben und Treiben anzusehen. [...] In Detmold selbst war eine Begeisterung, wie sie etwa 1813 in Breslau geherrscht haben mag. Die Stadt war gefüllt von eingezogenen Reservisten und deren Angehörigen. Überall frohe, zuversichtliche Stimmung. [...] Viele Kollegen, die eingezogen waren, oder ihrer Einziehung in den nächsten Tagen entgegen sahen, trafen wir in Detmold. Es waren unvergeßliche, erhebende Tage!"

Fritz Krumsiek

Fritz Krumsiek, Quelle: Stadtarchiv Lemgo, H10/78

Auf der Suche nach ausländischen Spionen

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„Die Landstraßen, die nach Detmold führten, waren an vielen Stellen durch lange Ketten gesperrt, Posten mit Gewehren standen daneben. Auch an der Bahn, besonders den Bahnbrücken, standen Posten unter Gewehr. Man witterte überall Spione, auch sollte ein ausländisches Auto mit viel Gold unterwegs sein und abgefangen werden."

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Auszug aus der Chronik des Schulmeisters Fritz Krumsiek

(Stadtarchiv Lemgo, H 10/78)

Wirtschaftliche Sorgen

Début de la guerre, caisses d'épargne de la Lippe, Lippische Post, 04/08/1914

Lippische Post, 04.08.1914

Die Sparkassen in Lippe (darunter auch die städtische Sparkasse Lemgo) schalteten eine großformatige Zeitungsannonce, um darauf hinzuweisen, dass sie während des Krieges geöffnet blieben und jederzeit Auszahlungen erfolgen könnten. Man solle Geld zu den Sparkassen bringen und nicht abholen. Offensichtlich hatte man die Befürchtung, es könnte einen fluchtartigen und plötzlichen Kapitalabzug durch die Sparkassenkunden geben.

Die Anzeige des Lemgoer Kolonialwarenhändlers Hempelmann markiert die Zweifel der Bevölkerung an weiterhin stabilen Preisen und ausreichend verfügbaren Waren.

Kolonialwaren Lippische Post Kriegsbeginn

Lippische Post, 06.08.1914

Der Stadtrat von Lemgo tritt zusammen

 

In der Versammlung der Lemgoer Stadtverordneten am 17. August 1914 eröffnete der Stadtverordnetenvorsteher Schulz die Sitzung "[...] mit einer markigen Rede in der er auf die ernste Zeit hinwies welche von Jedem Opfer fordere [...]". Die Stadtverordneten beschlossen, 10.000 Mark für die aus der Kriegslage erforderlich werdenden Ausgaben bereit zu stellen. Sie sollten für den Polizeischutz, die Fürsorge für die Hinterbliebenen von Gefallenen und für die "schwächeren Bürger der Stadt", verwandt werden. Der Ankauf von Lebensmitteln mit Blick auf eine Einquartierung und die Einrichtung einer Suppenanstalt waren weitere Vorhaben. Stadt, Kirche und der vaterländische Frauenverein sollten zusammenarbeiten, um soziale Unterstützung besser leisten zu können.

(Quelle: Stadtarchiv Lemgo, A 503)

Die ersten Siege

 

Am 7. August 1914 boten bereits die ersten Siege in Belgien Anlass zum Jubeln. Die Lippische Post schrieb am 8. August:

 

"Gestern abend kam es zu einer begeisterten Kundgebung vor der Redaktion. Kaum war das Extrablatt mit der Nachricht, daß Lüttich von unseren Truppen genommen sei, im Schaufenster zum Aushang gebracht, als sich in kürzester Zeit eine große Menschenmenge angesammelt hatte. Jeder drängte zum Schaufenster, um die Nachricht von dem ersten größeren Erfolg unserer gegen Frankreich kämpfenden Truppen mit eigenen Augen zu lesen. Ein unbeschreiblicher Jubel riß die Menge hin, die darauf "Heil Dir im Siegerkranz" und "Deutschland, Deutschland über alles" in heller Begeisterung sang. Noch lange Zeit war das Schaufenster von zahlreichen Menschen belagert. Mögen mit Gottes Hilfe diesem unserm ersten Erfolg bald weitere folgen."

Lippische Post, 08/08/1914

Lippische Post, 08.08.1914

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