
Lemgo Ende des 19. Jh: Grundriss einer mittelalterlichen Stadt
Auf diesem Stadtplan (Gier, um 1885) weist die Stadt Lemgo noch eine typisch mittelalterliche Struktur auf: Die Bebauung konzentriert sich deutlich auf das Gebiet innerhalb der Wallanlagen und folgt der historischen Straßenführung. Die Stadt ist im Norden („Altstadt“) dichter bebaut als im Süden („Neustadt“). An den Ausfallstraßen nach Rinteln, Detmold, Lage und Herford sind erste Ansätze einer Besiedelung außerhalb der Stadtmauern erkennbar. In den noch unbebauten Gebieten entstehen vereinzelt Industrieanlagen. Die Möglichkeit, einer Ansiedlung in der sogenannten Feldmark (das zur Stadt gehörende, aber außerhalb der Mauern liegende Gebiet aus Feldern und Wiesen) hatte der städtische Magistrat erst 1867 eröffnet. Zuvor bedurfte jedes Bauvorhaben als Neusiedlerstätte einer besonderen Genehmigung.

Stadtplan Lemgo um 1885 (Quell: Stadtarchiv Lemgo, K 1223).

Lemgo 1907: Die Stadt schiebt die Mauern
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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs die Stadt Lemgo: weiterder Plan eines Fremdenführers von 1907 (Karl OTTEMEYER,Führer durch Lemgo und Umgebung) zeichnen sich bereits deutlich die Räumlichkeiten eines dichteren Straßennetzes außerhalb der Stadtmauern ab. Diese Straßen sind größtenteils nur mit Nummern bezeichnet, was darauf hindeutet, dass ihre Wartung für Bauunterteilungen gerade erst begonnen hat. Im Norden sieht man das Stadtkrankenhaus, Werk der 1900 eingeweihten Stiftung Wolff , das während des Krieges als Lazarett genutzt wurde.
Aus einem zeitgenössischen Reiseführer: Lemgo als geschäftige und moderne Stadt
​​„Bevor wir nun unser Augenmerk auf die Umgebung Lemgos richten, seien noch einige Worte über die Stadt in ihrer jetzigen Gestalt gesagt. Sie hat etwa 9000 Einwohner, welche teils Ackerbau treiben, teils vom Gewerbe leben. Früher war Lemgo (neben Wien und Ruhla) berühmt als Fabrikationsort der Meerschaumindustrie, jetzt betreiben nur noch 2 Firmen (Bernhard Tille und Wilhelm Emmerich) diesen Erwerbszweig.
Ausser einer Brauerei, einer Leinen-Weberei und einer grösseren Brennerei bestehen verschiedene Zigarrenfabriken am Platze. Bedeutend sind der Wagenbau und die Luxusgeschirrsattlerei. Noch vor kurzem hat eine Lemgoer Firma (Inh. Hugo Scheidt) dem Landesfürsten ein vornehm ausgestattetes Coupè, sowie dem Prinzen Leopold in Meinberg einen Landauer und ein Halbverdeck geliefert, jedenfalls ein Beweis dafür, dass die Wagenindustrie in Lemgo in der Lage ist, auch den verwöhntesten Ansprüchen gerecht zu werden. Ebenso leistungsfähig ist die Fürstlich-Lippische Hofsattlerei der Gebrüder Koch, deren Luxusgeschirre sich im In- und Auslande des besten Rufes erfreuen.
Die Stadt besitzt eine eigene Sparkasse, einen Schlachthof, ein Gaswerk und eine Wasserleitung. Letztere ist im Jahre 1900 geschaffen und liefert vorzügliches Quellwasser, das an zwei Stellen in der Umgebung Lemgos aufgefangen und durch Röhren der Stadt zugeführt wird. Das Kanalisationsprojekt liegt fertig vor; einige Strassen sind bereits kanalisiert."
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Karl Ottemeyer, Führer durch Lemgo und Umgebung (1907).
Hier geht es zum Kommentar des Lemgoer
Stadtarchivars Marcel Oeben

Tabakfabrik, Schuhstraße (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, N1 Fotoarchiv GPG 2555)

Bahnhof Lemgo (eingeweiht 1867)
Der Bahnhof: Ein Tor zur Welt
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Die ersten Versuche, einen Bahnanschluss für Lemgo zu erhalten, reichen bis in die Mitte des 19. Jh zurück. Doch erst am 8. Juli 1896 konnte der Bahnhof an der Bahnstrecke Lage-Hameln feierlich eröffnet werden. In der Nähe des Bahnhofs (Lagesche Straße, Grevenmarsch) entwickelte sich in der Folgezeit ein Industriegebiet, vor allem der Holzindustrie.
Mit der Bahn sind wohl viele Lemgoer in den Ersten Weltkrieg gezogen. Von hier wurden auch die Glocken der Lemgoer Kirchen zur Kriegsmetallspende verladen.
Strom und Gas - Boten des Fortschritts
Auf diesem Stadtplan noch nicht zu sehen: Das 1911 erbaute Elektrizitätswerk am Bruchweg, heute Stadtwerke Lemgo. Bis dahin wurde in Lemgo künstliches Licht durch Kerzen, Petroleum oder Gas erzeugt. Das etwas weiter südlich gelegene Gaswerk wurde 1864 als Privatunternehmen für die Straßenbeleuchtung der Stadt gegründet.

Arbeiter im Gaswerk Lemgo (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, Ohle Fonds)

Turbinenhalle des Elektrizitätswerks Lemgo (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, Ohle Fonds)
Broterwerb: Als was arbeiten die Lemgoer zu Beginn des 20. Jahrhunderts?
Handwerker (Selbständige und Gesellen): ............................................................24%
Ohne Berufsangabe (unverheiratete Frauen und Witwen): ...............................15%
Ziegler: .................................................. ....................................................................14%
Arbeiter (insbesondere in Industrie und Zigarrenfabriken): ..............................12%
Selbständige (Kaufleute, Fabrikanten, Gewerbetreibende, Ärzte, Anwälte etc. außer Handwerker): .................................................................................................12%
Öffentlicher Dienst (Tätige in der Kommunal-, Justiz- und Finanzverwaltung, Post- und Bahnangestellte, Lehrer): .......................................................................6 %
Angestellte (abhängig Beschäftigte ohne Handwerker und Hausangestellte):. 5%
Rentiers und Privatiers (die von ihrem Kapital bzw. dessen Zinsen leben): ........4%
Sonstige (Stiftsdamen, Pfarrer etc.): ........................................................................3%
Landwirte: ...................................................................................................................2%
Dienstleistungsberufe (Hausangestellte, Fuhrleute): ...........................................1%
Verheiratete Frauen und Kinder: ............................................................nicht gezählt
Was fällt hier auf ?
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Es zeigt sich, dass die Gewerbe der industriellen und handwerklichen Produktion die größten sozio-professionellen Gruppen darstellen (etwa die Hälfte der Einwohner gezählt).
Der Agrarsektor nimmt hingegen nur einen unbedeutenden Teil ein, während Lemgo im 19. Jahrhundert noch als „Ackerbürgerstadt“ bezeichnet wurde. Wir können aber davon ausgehen, dass viele Städter einer kleinen Nebentätigkeit im landwirtschaftlichen Bereich nachgingen oder zumindest einen Gemüsegarten hatten.
Eine weitere Säule des städtischen Wirtschaftslebens sind die Freien Berufe. Der öffentliche Dienst ist dagegen nur wenig entwickelt und besteht hauptsächlich aus Bahn- und Postangestellten.
Diese Daten stammen aus dem „Alphabetischen Verzeichnis der selbstständig lebenden Bewohner und der kaufmännischen Firmen der Stadt“, veröffentlicht im „Adressbuch der Stadt Lemgo, 1909“.