
Lemgoer Vereine im Krieg
Die in den Lemgoer Vereinen organisierten Freiwilligen spielten eine überaus wichtige Rolle bei der Mobilisierung der „Heimatfront“. Sie übernahmen wichtige Aufgaben bei der Aufrechterhaltung der Moral, der Versorgung verwundeter Soldaten, der zurückgebliebenen Ehefrauen und Kinder, der Kriegsgefangenen und bei den zahlreichen Sammlungs- und Spendenaufrufen für Kriegszwecke, die die Vereine häufig organisierten und durchführten.
Die freiwillige Krieger- und Sanitätskolonne Lemgo
Die freiwillige Krieger- und Sanitätskolonne Lemgo wurde 1911 durch den jüdischen Kaufmann Adolf Sternheim gegründet. Die überall im Deutschen Reich verbreiteten Sanitätskolonnen waren ursprünglich aus den Kriegervereinen hervorgegangen. Ihr Hauptanliegen war die Bereitstellung von Krankenträgern und die Ausbildung von Krankenpflegern. Dazu fanden regelmäßige Übungsabende unter Leitung eines Mediziners statt. In Friedenszeiten halfen sie bei Unglücksfällen und Katastrophen aus. Im Krieg stellten sie ihre Mitglieder dem Roten Kreuz zur Verfügung. Eingesetzt wurden diese als Begleit- und Transportpersonal für verwundete Soldaten.

Gruppenbild der freiwilligen Krieger- und Sanitätskolonne Lemgo. Sitzend in der Mitte: ihr Gründer und Vorsitzender Adolf Sternheim, 1913 (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, V 32, unverzeichnete Fotos)

Mitglieder der Lemgoer Sanitätskolonne bei einer Verwundeten-Übung, ohne Datum (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, V 32, unverzeichnete Fotos)
In den allerersten Kriegstagen meldeten sich mehrere Lemgoer Kolonnen-mitglieder zur freiwilligen Kriegskrankenpflege an die Front (Quelle: Protokoll der Vorstandssitzung der Sanitätskolonne am 10.08.1914). Im Oktober 1914 traf dann die erste Meldung über einen gefallenen Sanitäter ein. Anfang 1915 befanden sich die meisten Mitglieder der Sanitätskolonne an der Front.
Die übrigen, daheim gebliebenen Mitglieder übernahmen den Transport der verwundeten Soldaten vom Lemgoer Bahnhof ins Lazarett. In der General-versammlung nach Kriegsende 1919 bilanzierte man für die Sanitätskolonne 130 durchgeführte Transporte mit insgesamt 488 Verwundeten und kranken Militärpersonen.
Der Turnverein Lemgo
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Der Turnverein Lemgo von 1863 e.V. verstand sich als bürgerlicher Turnverein, und in Abgrenzung zu den sozialdemokratisch orientierten Arbeiterturnvereinen (Freien Turner), als klar patriotisch und national ausgerichtete Gruppierung. Bereits am 20. August 1914 rief der Turnverein Lemgo in der Lippischen Post seine Mitglieder zur Beteiligung am anbrechenden „Völkerringen“ auf. Das paramilitärische Selbstverständnis des Turnvereins Lemgo wurde in der Lippischen Post (23.04.1918) unter der Überschrift „Wertschätzung turnerischer Arbeit“ zusammengefasst:
„Woher kommt es, daß man der Turnerei die Wertschätzung nicht zuteilwerden lässt, die ihr in vollem Maße gebührt? Nur daher, weil man die turnerische Sache zuviel als Spielerei angesehen hat und zum großen Teil noch heute als solche ansieht. Aber der jetzige Krieg hat es aufs Neue bewiesen, daß gerade der Turner der beste Soldat ist; daß er mit seinem durchgebildeten Körper alle Strapazen leichter überwindet. Es war also nicht Spielerei, was er im Turnverein getrieben hat, sondern ernste Lebensarbeit […] Die beste Vorbildung für die militärische Dienstzeit hat seit jeher der junge Mann im Turnverein erhalten […]“.
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Während die meisten männlichen Mitglieder des Turnvereins an der Front waren, hielten die seit 1911 im Turnverein Lemgo akzeptierten Turnerinnen nun das Vereinsleben aufrecht.
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Neben klassischen turnerischen Aktivitäten organisierte der Turnverein Lemgo während des Krieges die Sammlung und Versendung von „Liebesgaben“ an die Front. Durch das Versenden von Grußbotschaften an die Front bemühte man sich, den Kontakt mit den Turnern während des Krieges zu halten. Diese schickten ihrerseits auch Feldpostbriefe an den Verein.
Mitglieder:
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1913 hatte der Turnverein Lemgo 138 Mitglieder
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18 Mitglieder starben als Soldaten im ersten Weltkrieg
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1919 gab es 25 weibliche Mitglieder

Erinnerungs-Postkarte vom Schauturnen zu Ehren der aus dem Krieg heimkehrenden Vereinsmitglieder, 1916 (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, 1/D 153)

Erinnerungs-Postkarte vom Schauturnen zu Ehren der aus dem Krieg heimkehrenden Vereinsmitglieder, 1916 (Quelle: Stadtarchiv Lemgo, V 30/2)
Feldpost des Turnvereins Lemgo
Im Archiv des TV Lemgo (Depositum im Stadtarchiv Lemgo) befindet sich eine Sammlung von Feldpostbriefen, die Turner von der Front in die Heimat und an den Verein geschickt haben oder vom Verein an die Front geschickt wurden. Inhaltlich geht es häufig um Danksagungen für Liebesgaben und Weihnachtsgeschenke oder einfach um Grüße an die Front.
Kriegerische Menschenverachtung zeigt sich bei einer anderen Feldpostkarte unter dem Titel „Gruss aus russisch Polen“, auf der man die Zeichnung eines russisch-polnischen Juden einer russich-polnischen Laus gegenüberstellte. Trotz zahlreicher jüdischer Soldaten in der deutschen Armee war Antisemitismus weit verbreitet.
Diese Feldpostkarte zeigt die Grüße des TV Lemgo von der Turnfahrt am Himmelfahrtstag 1916 an die Turner an der Front. Diese Karte kam als unzustellbar zurück und wurde deshalb vermutlich in die Sammlung aufgenommen.
In einem Feldpostbrief vom Dezember 1914 wird auch über die besondere Kriegsweihnacht an der deutsch-englischen Front berichtet:
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„Nordfrankreich, den 27. Dezbr. 1914. Liebe Turngenossen1 Zuerst sage ich Ihnen herzlichen Dank, für daß schöne Weihnachtspaket, über dasselbe habe ich mich sehr gefreut. […] Weihnachten haben wir hier in Stellung gefeiert, wir hatten einen kl. Weihnachtsbaum unseren Unterstand hatten wir dementsprechend geschmückt auch fehlte das Dortmunder Bier nicht. Die Tage verliefen ruhig, die Infanterie hatte einen Waffenstillstand und wurden gegenseitige Besuche im Schützengraben gemacht, viele Engländer sprachen etwas deutsch und konnten wir uns mit Ihnen verständigen. Ihre Stimmung war schlecht. Sie hatten kein Brot und erhielten keine Zeitungen mehr aus der Heimat. Es gab daher einen Tauschhandel. Bis jetzt hatte man Ihnen von den großen Russen siegen erzählt, durch unsere Zeitungen bekamen sie etwas anders zu lesen und wissen jetzt, wie die Sachen stehn. […] Herzlichen Dank und ein kräftiges Gut Heil bis auf Wiedersehn, Euer Ernst Blübaum“.
Grußkarte an die Front von der jährlichen Turnfahrt zum Himmelfahrt 1916 (Stadtarchiv Lemgo, V 30/19)

Feldpostbrief des Ernst Blübaum an seine Turngenossen über die Verbrüderung zwischen deutschen und englischen Soldaten an Weihnachten 1914, (Stadtarchiv Lemgo, V 30/19)


"Gruss aus russisch Polen", antisemitische Feldpostkarte, ohne Datum (Stadtarchiv Lemgo, V 30/19)

Der Kriegerverein Lemgo
Die seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland zahlreich existierenden Kriegervereine zählten zu den Veteranenverbänden, die als Zusammenschlüsse von ehemaligen Kriegsteilnehmern versuchten, deren Interessen auf sozialem, wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet durchzusetzen. Sie hatten mit dem sogenannten Kyffhäuser-Bund der Deutschen Landes-Kriegerverbände eine übergeordnete Struktur. Die Mitglieder der Kriegervereine rekrutierten sich aus der Arbeiterschaft, den Handwerkern, kleinen Kaufleuten und kleinen Beamten. Die Eliten und Honoratioren hielten sich diesen Vereinen eher fern. Man gedachte den Kriegserlebnissen, kümmerte sich um die Gräber und Denkmäler der Gefallenen, fand sich zu geselligen Abenden zusammen und beteiligte sich mit Aufmärschen an vaterländischen Kundgebungen und Feiern.
In Lemgo wird der Kriegerverein im Zusammenhang mit einer Sedan-Feier 1879 (vermutlich erstmals) erwähnt. Nahestehende Vereinsgruppierungen waren die Jugendkompagnie (Leitung Gymnasialdirektor Schurig) und die Sanitätskolonne (Leitung: Adolf Sternheim). Eine Fechtschule existierte anscheinend auch; ihre Tätigkeit wurde aber spätestens im Januar 1918 eingestellt.
Während des Krieges waren ein Großteil der etwa 350 Mitglieder des Lemgoer Kriegervereins „zur Fahne gerufen“, so dass kaum noch ein Vereinsleben stattfand. Die Berichte über die Generalversammlungen des Vereins bezeugen, dass es an Geld und aktiver Mitarbeit fehlte und Vereinsveranstaltungen zugunsten des „Kriegergedanken“ (Vorträge, Filmvorführungen und Konzerte) nicht auf die erhoffte Resonanz stießen, so dass sie zwischenzeitlich ganz ausgesetzt wurden. Stattdessen konzentrierte man sich auf die materielle Unterstützung von Soldatenfamilien. Erst nach dem Kriege erholte sich der Verein wieder und bekam vermehrten Zulauf an neuen Mitgliedern.

Zusammenfassung des Jahresberichts 1916 von der Generalversammlung des Kriegervereins Lemgo. Lippische Post, 20.01.1917.

Zusammenfassung des Jahresbericht für 1914 des Kriegervereins Lemgo, Lippische Post, 23.01.1915.
